Autor Thema: Generalbundesanwalt ermittelt gegen netzpolitik.org anstatt gegen die NSA  (Gelesen 7106 mal)

Offline Solitana

  • Administrator
  • Meister
  • *****
  • Beiträge: 137
    • Profil anzeigen
Zitat von: George Santayana
Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.

Die Spiegel-Affäre aus dem Jahre 1962 ist offenbar schon so lange her, dass noch nicht einmal der Spiegel sich so recht daran erinnern mag, warum das damals eigentlich so ein unglaublicher Skandal war: Dabei wurde Journalisten des Spiegels erstmals "Landesverrat" vorgeworfen, also Verrat von Geheimnissen mit der Absicht, dem Land zu schaden. Vor allem in Reihen von Journalisten und Studenten, aber auch in weiteren Teilen der Bevölkerung, kam es zu Demonstrationen gegen politische Einflussnahmen auf die Pressefreiheit.

Nun wird dieser Vorwurf zum zweiten Mal in der deutschen Geschichte erhoben, diesmal gegen den politkritischen Blog "netzpolitik.org", der ursprünglich vor allem für die Unterstützung der Netzneutralität eintrat. Dieser hat nun vom Generalbundesanwalt die Bestätigung erhalten, dass auch gegen seine Mitglieder ermittelt wird, neben der bisher unbekannten Quelle für Unterlagen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz bezüglich einer "Referatsgruppe 3C", die sich nun ebenfalls mit Internetüberwachung beschäftigen soll.

Der Deutsche Journalisten-Verband kritisiert dieses Vorgehen als "Justizposse". Auch die Zeit und die Süddeutsche sehen diesen Vorgang kritisch. Auf N24 gibt es heute Interviews mit leitenden Redakteuren bedeutender Tageszeitungen.

Juristische Auseinandersetzungen sind leider teuer, deshalb wird die Verteidigung von verfassungsmäßigen Freiheiten von Bürgern gegen den Verfassungsschutz und gegen die von der Regierung beauftragte Bundesanwaltschaft sicher nicht billig. Spenden werden daher gern entgegengenommen. Eine Kopie der Daten und weitere "Verschwörungstheorien" gibt es in Fefes Blog. Und um den Streisand-Effekt zu beleben, noch eine Zusammenfassung auf http://landesverrat.org/

Als ähnlich bedeutsam gilt das Cicero-Urteil von 2007.

Inzwischen veröffentlichen auch die Blogger von correctiv.org die Unterlagen und zeigen sich selbst an – in der Hoffnung, damit Vorbild für andere Redaktionen zu sein, und durch eine Vergrößerung des Kreises derer, gegen die ermittelt wird, konkrete Ermittlungen gegen Beckedahl und Meister zu erschweren: Landesverrat? Soll er doch gegen uns alle ermitteln!

Gestern so: Je suis Charlie! — Heute so: Wir sind alle netzpolitik.org!
« Letzte Änderung: 31.07.2015 13:50:08 Nachmittag von Solitana »

Offline Malódian Mondkatze

  • Gildenmitglied
  • Experte
  • **
  • Beiträge: 53
    • Profil anzeigen
Verfassungs'schutz'?
« Antwort #1 am: 12.08.2015 14:11:19 Nachmittag »
Gut, dass du das reingestellt hast. Ich hab es zwar auch mit anderen Quellen verfolgt, aber am Inhaltlichen ändert das nicht. In meinen Augen zeigt sich immer deutlicher, dass der Verfassungschutz selber das Problem ist - verkörpert in dem Scharfmacher Maaßen. Nur ... wie man den Verfassungsschutz abschaffen könnte ... da habe ich keine Idee. In der Politik (d.h. den agierenden Parteien) wird sich dafür sicher nie eine Mehrheit finden.
Das 'je suis Charlie' würde ich in diesem Zusammenhang aber nicht benutzen. Das war zu tödlich für diese Journalisten.

Offline Solitana

  • Administrator
  • Meister
  • *****
  • Beiträge: 137
    • Profil anzeigen
Antw:Generalbundesanwalt ermittelt gegen netzpolitik.org anstatt gegen die NSA
« Antwort #2 am: 12.08.2015 14:49:33 Nachmittag »
Danke für die Kritik; tatsächlich sollte man heute vorsichtig damit sein, gesellschaftlich bedeutsamen Themen nur als "Trend" zu folgen, dabei aber die Fakten und Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren.

Aber auch an den Grenzen der Fakten gibt es recht fundierte Theorien, z.B. überlegen Markus Kompa (heise, Telepolis) und Don Alphonso (FAZ, Deus ex Machina), ob das ganze Verfahren nicht nur deshalb so eskalieren musste, weil in Deutschland Überwachungsmaßnahmen dieser Größenordnung (Bundestrojaner, Vorratsdatenspeicherung usw.) nur bei schwersten Straftaten erlaubt sind, also daraus folgernd schwerste Straftaten = "Landesverrat" angenommen werden mussten, um mit diesen Methoden nach den Informanten fahnden zu dürfen.

Außerdem ist auch noch ungeklärt, warum der Ex-GBA Range dem Antrag von Maaßen so leicht folgen mochte, dass selbst sein Dienstherr, Justizminister Maas, die heiße Kartoffel schnell genug fallen lassen musste. Von Vera Bunse wird der alerte Herr Dr. Maaßen mal ganz ausführlich beleuchtet. Auch Tagesspiegel und FAZ haben ihn jetzt im Visier.

Derweil beschreibt der Bundesrichter Thomas Fischer die rechtlichen Aspekte der Affäre ziemlich ausführlich, aber dennoch unterhaltsam.

Warum nun unsere Regierung so wenig Interesse daran zeigt, ihre ganze Kraft "dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben" zu wollen, ist ein anderes Thema. Entsprechend gibt es auch "Verschwörungstheorien" sehr interessanter Art, mit entsprechend auffälligen Gegenmaßnahmen...

P.S.: Noch ein ganz frischer via Fefe — die USA haben Deutschland gar nicht verboten, die NSA-Selektorenliste herauszurücken.
« Letzte Änderung: 12.08.2015 15:24:57 Nachmittag von Solitana »